Zeithain-Michael-Rös - Verlag-Blaues-Schloss

Direkt zum Seiteninhalt

Veranstaltungen 2018




Ludwig Legge bekennt ganz frei

„Ich bekenne es ganz frei, was ich sonst nicht tue. Ich gebe schon  vorher ein Urteil ab: Es ist eines der wichtigsten und gelungensten  Bücher der letzten Jahre.  Auch die 800 Seiten sollten niemanden  abhalten, es zu lesen.  Wer bereits begonnen hat, der wird auch nicht  mehr aufhören.  Es ist sowohl sprachlich als auch inhaltlich etwas  Außerordentliches.  Das Thema, ganz kurz, es geht um den unglücklichen  Hans Herrmann Katte. Katte heißt übrigens Katze. Hans Hermann Katte ist  Ihnen allen im Zusammenhang mit Kronprinz Friedrich, dem späteren  Friedrich II. bekannt. Denn er wurde, nachdem er mit Friedrich einen  Desertationsversuch unternommen hatte, gefasst und in zwei Verfahren zum  Tod verurteilt.  Übrigens Friedrich Wilhelm, der sogenannte  Soldatenkönig, wollte auch seinen eigenen Sohn zum Tode verurteilen  lassen.  Da hat die Kriegskommission des Gerichts nicht mitgespielt.
       
Wer war denn nun dieser Hans Herrmann Katte? Ein  außerordentlicher Mensch. Das wird in diesem Roman ganz wunderbar  entwickelt.  Und zwar zunächst durch einen heutigen Menschen, nämlich  Philip Stanhope, einen ganz entfernten Nachfahren der Kattes. Ganz  schnell ins historische Bewusstsein gerufen. Es war damals der erste  König in England aus dem Haus Hannover. Sie wissen, es gab vier Könige  aus dem Haus Hannover. Deshalb sind die Hannoveraner auch heute noch mit  dem englischen Königshaus verwandt.     
    
Philip Stanhope, selbst eine außerordentliche  Erscheinung, will Orte auffinden, an denen Katte war und sich damit der  Person Kattes nähern. Der zweite Handlungsstrang ist die Entwicklung der  Figur Kattes. Es gibt nicht sehr viele Zeugnisse. Natürlich ist der  Prozess genauestens dokumentiert, aber sonst wenige Zeugnisse über Hans  Hermann Katte. Also stand er Romancier vor der Aufgabe, diese Figur zu  schaffen. […]“

Einführende Worte von Michael Roes
„[…] Der Roman wird eingeleitet von einem Fontane-Zitat aus der Wanderung durch die Mark Brandenburg.  „Es gibt kaum einen Abschnitt unserer Historie, der öfter behandelt  worden wäre, als die Katte Tragödie. Aber so viele Schilderungen mir  vorschweben, das Ereignis selbst ist bisher immer nur auf die Person  Friedrichs angesehen worden,   oder wenigstens vorzugsweise. Und doch  ist der eigentliche Mittelpunkt dieser Tragödie nicht Fridrich, sondern  Katte. Er ist der Held und er bezahlt die Schuld.“
       
    
Was ist da passiert? Dieser Roman ist ein Versuch, Friedrich  nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Friedrich taucht zum ersten Mal auf  Seite 537 auf. Das heißt Katte lernt ihn relativ spät in seinem Leben  kennen. Er ist Gendarm in Berlin, also Leibgardist des Königs in den  letzten drei, vier Lebensjahren. Er stirbt mit 26.  Die ganze Jugend ist  die Vorgeschichte dieser Begegnung und steht im Mittelpunkt. Also Katte  steht im Mittelpunkt. Friedrich wird natürlich bedeutsam am Ende. [..]   
    
Das Buch heißt nicht nur Zeithain, weil der Ort Zeithain  auch dort vorkommt, sondern weil es einen Zeithorizont eröffnen will  über die Figur von Katte aus dieser Wendeperiode Anfang des 18.  Jahrhunderts. Es geht über Kattes  Begegnungen mit Bach, mit Händel, mit  der Kultur dieser Zeit, aber auch mit dem Zeitgeist, dem Konflikt  zwischen dem Pietismus und der Frühaufklärung. Alles war in der Schwebe.  Und dass die Geschichte dann diese Wendung genommen hat, war nicht in  der Geschichte schon angelegt. Da war der Pietismus eine  Ausnahmeerscheinung in Preußen. Und dass mit  Friedrich dem Großen die  preußische Geschichte diese Wende genommen hat, so denke ich, hat  unmittelbar mit dieser Katte-Tragödie zu tun. Ohne die Umstände dieser  Hinrichtung am Ende, wäre möglicherweise preußische Geschichte anders  verlaufen."   
    
"Es genügt doch, dass ich Philip Stanhope  aus  Chesterfield die Geschichte erzähle, um zu wissen, dass hier nicht  Geschichte erzählt wird, sondern ein … ja , was? Eine märkische  Passionsgeschichte? Ein preußischer Liebesroman?"




,


Enttäuschte Söhne und enttäuschende Väter?
Oder enttäuschte Väter und enttäuschende Söhne?

Nachgedanken zur Lesung   
Extreme machen den Normalzustand sichtbar, oder wie es Sigmund Freud  sagen würde: die pathologische Störung entschlüsselt die psychische  Struktur des „Gesunden“. Krass hier nun das Thema einer  Vater-Sohn-Beziehung an oberster Stelle eines Staates und somit Muster  und Vorbild der Staatsräson bis in die kleinsten Dorfschulen. Natürlich  ging es hier nicht nur um Vater und Sohn, in diesem Fall den Soldatenkönig und Friedrich II., sondern auch um das Drumherum.  
    
Gewissermaßen  um die Benzinfässer, damals wohl eher Pulverfässer, die den Streit in  ein Inferno verwandelten. Dass der bedingungslose Gehorsam, die  ungebrochen väterliche Autorität, (die aber von vorneherein gebrochen  ist, sonst wäre sie nicht so erbarmungslos) und der soldatische Drill  eine große Rolle gespielt hatten, wird den meisten Betrachtern dieses  preußischen Abraham-Isaak-Dramas geläufig sein. Weniger aber die  Zündkraft einer religiösen Strömung, die eigentlich zuvor in Preußen  nicht zuhause war: die des Pietismus. Militarismus und Pietismus, äußere  und innere Dressur, brachten es zu dieser das Individuum zerreißenden  Kraft, das sich wie Salpeter und Schwefel, wenn man dem Teufelszeug noch  eine Prise Holzkohle zugibt, zum explosiven Schwarzpulver verwandelt.
    

       
Nun ja, im Westen oder in Preußen eigentlich nichts Neues: halt  ein Vater-Sohn-Konflikt. Selbst im Prag des 20. Jahrhunderts gab es zu  diesem Thema ein fast privates, wenn auch ein wenig masochistisches  kafkaeskes Nachzittern (vorgezittert hatte aber bereits Kierkegaard),  also ein scheinbar fast flimmerndes Nachzittern vor einem Infarkt, das  aber zur Metapher für den Konflikt eines ganzen Zeitalters gerann, so  wie das Blut der zahllos geopferten Söhne im ersten und zweiten  Wertkrieg. Die Söhne leben gefährlich. Manchmal aber auch die Väter. Ist  denn nicht die ganze griechische Olymp-Geschichte eine einzige  Vatervertreibung? Wenn auch, wie bei Kronos, die Aggression des Vaters  gegen den Sohn vorausging, die aber wiederum, in Kenntnis der  Vorhersage, dass der Sohn den Vater zu Fall bringen werde, als  Verhinderungsmaßnahme des Vaters aufgefasst werden kann. Chronos,  wiederum als Sohn, entmannte Uranus.



Das bekannteste Sohnesopfer ist wohl das, aus dem später sich das  Christentum kreierte. Später. Ist vielleicht  die Kreuzigung von Jesus  eher  ein ungeplanter Betriebsunfall, ein Lapsus in den Wirren einer  wirren Zeit, die aber zumeist wirr ist? Ordnung ist doch nur ein  Euphemismus für den geistig chaotischen Dauerzustand der menschlichen  Spezies. Das aber die nachträglich kreierte Idee des Sohnesopfers als  selbstredender Beweis ausgerechnet für die Güte jenes Vatergottes sei,  bedurfte von Anfang an einiger Erklärungskünste. Aber vielleicht war  gerade das Unerklärbare der Grund, dass die Idee des Sohnesopfers so im  Bewusstsein unzähliger Menschen zündete und über Jahrtausende die  höchste und letzte Richtschnur war. Ja, das zeigt, dass da irgendetwas  sein muss zwischen den Söhnen und Vätern, dass größte Kraft besitzt,  gleichermaßen zum Segen oder Fluch.
      
    
Aber selbst Sigmund Freud ist da keinen Schritt weitergekommen.  Hat er zwar den säkularisierten Menschen von der Metaphysik und  mythischen Schuld befreit, also vom Fall Adams, so lässt er nun den  modernen und befreiten Adam über seine Mutter herfallen und in  Vatermordgedanken schwelgen. Dem Sohn bleibt halt nur die Wahl zwischen  Pest und Cholera: sich der Autorität zu unterwerfen oder gegen sie zu  rebellieren. Der Wiederholungszwang mit jeweils in der Generationsfolge  entgegengesetztem Ausgang scheint an der Tagesordnung oder  Geschichtsordnung zu sein. Die Menschheitsgeschichte eher eine Akte für  Kriminalfälle von Mord und Totschlag als ein Poesiealbum des Ruhms oder  eines sichtbar werdenden Geistes? (Hoffentlich kommen außerirdische,  höherentwickelte  Besucher nicht auf die Idee, die von uns so sorgfältig  niedergeschriebene Menschheitsgeschichte dahingehend näher zu studieren.) Aber als recht nahe Nachfahren einer Affenhorde wird es wohl bei uns auch in Zukunft weiterhin recht äffisch zugehen.   
    
Oder die Menschwerdung gelingt vereinzelt doch: in einer  gewonnenen männlichen Souveränität der Autorität, der Rebellion und dem  Wiederholungszwang gegenüber.   
    
Ob Friedrich II. diese Souveränität als Souverän gelungen ist,  (der wohl eher Kriege in selbstmörderischer, weil verzweifelter Absicht,  als aus strategischen Gründen geführt und dabei mehr Glück als Verstand  hatte), das bedürfte einer gründlichen Untersuchung. Von den weisesten  unserer Horde!  
  
Leichter fällt es, einem Unscheinbaren diese Souveränität zuzusprechen: Katte.
      
Sein Vater hingegen, ganz in der Dressur seiner Zeit, denunzierte  seinen eigenen Sohn beim König. Wieder einmal ein Vater, der das  Sohnesopfer nicht verdient hat, und auch nicht den letzten Brief seines  Sohnes an



Zum Vergrößern der Bilder bitte Bild anklicken.



Gebundene Ausgabe: 808 Seiten
Verlag: Schöffling; Auflage: 2 (8. August 2017)
ISBN-13: 978-3895611773
28,00 €

   
Eines der erschütterndsten Dramen der deutschen Geschichte  ereignete sich im 18. Jahrhundert in Zeithain. Es handelt von Friedrich  dem Großen, der als junger Kronprinz unter dem Regime seines Vaters  unvorstellbar leidet. In seiner Not wendet sich Fritz an seinen einzigen  Freund, Hans Hermann von Katte. Er soll ihm helfen, ins Ausland zu  fliehen, während sein Vater von der Militärparade in Zeithain abgelenkt  ist. Katte, ein Offizier des Königs, gerät in einen tiefen Zwiespalt,  doch er kann der Zuspitzung der Ereignisse nicht entrinnen. Als die  Pläne auffliegen, ist es Katte, an dem ein Exempel statuiert wird und  der Kronprinz muss bei seiner Hinrichtung zusehen. Wer war dieser Katte?  Wie konnte er, der selbst mit einem strengen, distanzierten Vater  aufwuchs, sich verhalten? Philip Stanhope, ein entfernter Nachfahre,  sucht an den Orten von Kattes Leben nach Antworten. Er fühlt sich ein in  die Welt des pietistischen Preußen und zeigt, wie stark die Gefühle und  Werte der damaligen Zeit uns immer noch prägen. Michael Roes' Roman ist  eine gewaltige literarische Recherche und zugleich ein faszinierendes  Abenteuer deutscher Geistesgeschichte.
(Verlagsangabe).
   
Michael Roes, geboren 1960 in Rhede/Westfalen,  lebt in Berlin. Mehrjährige Aufenthalte im Jemen, in Israel, Algerien  und den USA bilden den Hintergrund für viele seiner Bücher, Essays,  Theaterstücke, Radiofeatures und Filme. 1993 erhielt er den  Else-Lasker-Schüler-Preis, 1997 den Literaturpreis der Stadt Bremen,  2006 den Alice Salomon Poetik Preis für sein Gesamtwerk. 2012 erreichte  er mit seinem Roman DIE LAUTE die Longlist des Deutschen Buchpreises.  ZEITHAIN ist sein zwölfter Roman. (Verlagsangabe)


Rezension FAZ Online»

Pressestimmen
   
»Wie die Tragödie zum Aufstiegsmythos umgebogen wird, was uns  mit der Vergangenheit verbindet, davon handelt Michael Roes'  beeindruckender Roman.« --Tim Evers, MDR Kultur
   
»Ein sorgfältig recherchierter Roman, der über eine tragische  Figur, das alte Preußen eindringlich zum Leben erweckt und  Traditionslinien aufdeckt, die bis in die Gegenwart nachwirken.«  --Mareike Ilsemann, WDR
   
»Roes erzählt Kattes Lebensgeschichte (...) als wahres  Breitwandepos. (...) Wahnsinnig dicht, schön und farbenfroh erzählt.  (...) Ein wunderbarer, einprägsamer Roman.« --Jörg Magenau,  Deutschlandfunk Kultur
   
»Ein gewichtiges Buch.« --Süddeutsche Zeitung
   
»Es geht nicht nur um Aufklärung damals, es geht auch um  Aufklärung heute. (...) Ein wunderbar lesbares Buch.« --Mario Scalla,  hr2 Kultur
   
»Roes schreibt über Staatsraison und preußischen Ehrbegriff, über  Pietismus und Militarismus und all das, was sich bis heute mit  sogenannten preußischen Tugenden verbindet.« --Dresdner Neueste  Nachrichten
   
»Ein grandioses Recherchewerk.« --Michael Ernst, Sächsische Zeitung
   
»Roes entwirft ein gewaltiges Historien-Gemälde für seine Leser.  (...) Seine historische Genauigkeit umfasst die kleinsten Details, seine  Einfühlung ist grenzenlos.« --Gabriele Weingartner, Die Rheinpfalz
   
»Immer wieder gibt es atemberaubende Passagen und unvergessliche  Episoden. (...) Wie ein großer Abenteuerroman, der in ferne Länder  führt. (...) Ein gewichtiges Buch mit großem erzählerischem Atem.«  --Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung.
   
u.s.w.


Zurück zum Seiteninhalt