Veranstaltungen 2020 - Verlag-Blaues-Schloss

Direkt zum Seiteninhalt

Veranstaltungen aus dem Jahr 2020:

"Hinter alles ein Fragezeichen setzen"
Der Romancier Theodor Fontane
"Von sechzig bis (fast) achzig"
von Dr. Heiko Postma im Cineplex Marburg
Sonntag, den 20. September 2020





Rückblick

So erfolgreich der Frühling des Jahres 2020 für die Neue Literarische Gesellschaft mit ihren Veranstal-tungen begann, so jäh endete der gute Start mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die das ganze Kulturleben auch in Marburg weitgehend zum Erliegen brachte.
Nun der erneute Beginn, zwar an einem neuen „Schauplatz“, dem Kino Cineplex in der Biegensstraße 1, um die Vorgaben in der Corona-Krise auch bezüglich der Abstände zwischen den Personen einhalten zu können.
Auch die nächsten Veranstaltungen der Neuen Literarischen Gesellschaft sind im Cineplex geplant.




Ludwig Legge eröffnet den Beginn der Veranstaltungen der NLG

im Cineplex Marburg




"Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren und liebe Literaturfreunde,
wir haben ein Exil gefunden. Dank der Mitwirkung von Frau Closmann können wir unsere Veranstaltungen im Cineplex fortsetzen. Also herzlich willkommen.
Heute holen wir einen Vortrag nach, der eigentlich für das Fontane-Jahr geplant war. Dr. Heiko Postma wird einen Vortrag über die Romane von Fontane halten. Wer lange nicht mehr Fontane gelesen hat, wird sicherlich nach diesem Vortrag zu dem einen oder anderen Roman von ihm greifen. Sie alle wissen, dass Fontane der große deutsche Romanautor Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist. Er hat den Anschluss an die große europäische Romanliteratur hergestellt.
Meine Damen und Herren, Sie kennen ihn alle durch die vielen Verfilmungen „Effi Briest“ oder „Vor dem Sturm“ oder sein großartiges Alterswerk „Der Stechlin“.
Mit einem Wort: Herzlich willkommen bei Theodor Fontane und Heiko Postma!


Zum Vortrag: Heiko Postma

„Meine sehr geehrten Damen und Herren,
im Mai 1876 gab Fontane seine Anstellung als erste Sekretär der königlichen Akademie der Künste auf, zum unverhohlenen Ärger des Kaisers, der für diesem Posten zuständig war, und zur hellen Empörung seiner Frau, die es nicht fassen konnte, wie man eine solche mit Pensionsanspruch und der Aussicht auf den Geheimrat verbundenen Position einfach hinwerfen konnte, um stattdessen die in jedem Belang unsichere Existenz eines freien Schriftstellers auf sich zu nehmen. Doch Fontane wollte die Unabhängigkeit. Genau seinem Credo entsprechend: „Interdependenz über alles! Alles andere ist nur Larifari!“


Heiko Postma, Foto von Karl-Hans Schumacher

So kraftvoll, klar und detailfreudig begann Heiko Postma seinen Vortrag über den gleichermaßen veranlagten Theodor von Fontane. Immerhin konnte sich Fontane durch seine Theaterkritikertätigkeit bei der preußischen Zeitung wirtschaftlich so absichern, dass er sich dem Projekt widmen konnte, an dem er bereits über 20 Jahre, seit 1854, gearbeitet hatte: seinem ersten großen Erzählwerk „Vor dem Sturm“ 1878, ein Roman aus dem Winter 1812 auf 13, den er immer wieder hatte zurückstellen müssen.


Fontanes Maximen des Romanschreibens

Nun konnte er endlich diesen Roman nach den Vorgaben seines großen Idols Sir Walter Scott (1717-1831) umsetzen mit dessen berühmter Formel „sixty years ago“: Weiter als zwei Generationen dürfe die Handlung nicht zurückliegen, oder wie es Fontane auffasst: „Ein Roman dieser Art solle die Schilderung einer Zeit und die Widerspiegelung eines Lebens sein, an dessen Grenze wir selbst noch standen oder von dem uns unsere Eltern noch erzählten.“

Eine andere Maxime seines Romanschreibens ist: jedes Problem von mehreren Seiten zu beleuchten, wie zum Beispiel in „Effi Briest“ 1896, gefolgt von „... anregendes, heiteres wenn‘s sein muss geistvolles Geplauder wie es hierzulande üblich ist, ist die Hauptsache bei einem Buch.“

Und so wurde der 800-seitige Roman „Vor dem Sturm“ 1878 ein wahres Gesellschaftspanorama, fokussiert auf das politische Wendejahr 1813. Der Roman umfasst alle Schichten und Stände der Bevölkerung und die sprachliche Ausstattung der Personen geht vom französisch-durchsetzten Parlier-Ton der vornehmen Dame bis zum derben Platt des schlichten Landvolkes. Und im Schlussteil des Romans herrscht bereits das, was man den typischen Fontaneton nennen kann.

„Wie halten Sie‘s mit dem Adel?“

Die Gretchenfrage: „Wie halten Sie‘s mit dem Adel?“, beantwortet Fontane je nach Stimmungs- und Einsichtslage. Anfänglich, also um 1860, stand sein großes: „Der Adel ist tot!“ Dann wieder traute er dem Adel, aber erst nach deftigen Frisch-Blut-Kuren, eine Erneuerung zu und 1865 schrieb er in einem Brief „Wer den Adel abschaffen wolle, der schafft die letzte Poesie aus der Welt.“ Um dann aber um 1890 nüchtern festzustellen: „Von meinen geliebten Adel falle ich mehr und mehr ab. Traurige Figuren! Beleidigt unangenehme Selbstsüchtler von einer mir ganz unverständlichen Borniertheit.“ Und er steigert seinen Unmut: „Sie müssen alle geschmort werden! Alles antiquiert!“ Aber auch der Bourgeois, der die leergewordene Stelle ausfüllt, war nicht Fontanes liebstes Kind.


Die Auslassung als Liebesakt

In der Beschreibung von Liebesakten brilliert Fontane mit der Kunst der Auslassung, die trotzdem aber von der Kritik als so direkt empfunden wird, dass man ihn als „Erotomanen“ bezeichnet. Für die Zusammenhänge zwischen Liebe und Leben hat Fontane einen untrüglichen Blick und lässt dies in „Irrungen Wirrungen“ 1888 durch der Schneidergesellin Magdalene Nimptsch, die Eheanwärterin des Baron Botho von Rienäcker aussprechen: „Alle schönen Männer sind schwach. Und der Stärkere beherrscht sie. Und der Stärkere, ja was wär‘s dieser Stärkere nun? Entweder ist es deine Mutter oder das Gerede der Menschen oder die Verhältnisse. Oder vielleicht alles drei.“


Foto von Karl-Hans Schumacher

Die falsche Ehre

Besonders galt Fontanes Kritik der falschen Ehre oder die Furcht vor dem Ridicule, die er durch den Mund des Ex-Offiziers von Bülow in "Schach von Wuthenow" (1882) kundtut, welcher die falsche Ehre in einen größeren politischen Zusammenhang stellt: „Die falsche Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendsten, Unwillkürlichsten, was es gibt, von dem Auftriebssand aufgebauschten Urteils der Gesellschaft und veranlasst uns, die heiligsten Gebote, die schönsten und natürlichsten Regungen eben diesen Gesellschafts-Götzen zum Opfer zu bringen.“


Die Quellen der Stoffe der Romane


Die Stoffe seiner Romane entnahm Fontane aus den Skandalen der Städtechroniken oder aus den Gesellschaftsnachrichten der Vossischen Zeitung oder den Informationen vertrauter Freunde. Manches erfuhr er zu auf seinen Reisen oder Ferienreisen bei den Salongesprächen in den verschiedenen Hotels.
Sein eigenes Leben hatte Fontane nicht als Quelle seiner Romane genommen. Das blieb seinen autobiografischen Arbeiten und der Lyrik vorbehalten. In den Romanen hingegen war er Beobachter von dem, was die Gesellschaft seiner Zeit bewegte.

Heiko Postma fasste die Themen der Romane von Fontane mit folgenden Worten zusammen:


„Die Stoffe für seine durchweg in Berlin oder der Mark Brandenburg angesiedelten Gesellschaftsromane handelten vom Ehebruch wie ‚Effi Briest‘ 1896 oder „Unwiederbringlich“ 1891 und dadurch veranlasste tödliche Duelle wie in ‚Cécile‘ 1878 oder abermals in ‚Effi Briest‘, um Ehen zwischen Partnern sehr ungleichen Alters, wie in „L‘Aldultera“ 1882, um anstößige Liebschaften zwischen Personen ungleichen Standes wie in ‚Irrungen Wirrungen‘ 1888 oder ‚Stine‘ 1880“




Zurück zum Seiteninhalt