Brüchige-Idylle - Verlag-Blaues-Schloss

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Radke, Anna Elissa
Brüchige Idylle
Vergils Hirtengedichte
Mit einer neuen Übersetzung
Von Anna Elissa Radke
Kartoniert, (15cm x 23cm) 118 Seiten
10 Farbabbildungen
ISBN 978-3-943556-30-8Preis: 13,95 €



Zum Buch

Über die Nachdichtung:
So, wie auf Tityrus´ Weideland überall der kahle Fels durchscheint, so erweist sich auch die Hirtenidylle Vergils bedroht durch politische Unruhen oder durch seelische Erschütterungen, welche die heimelige Gefühlswelt der Hirten sprengen. – Das soll in dieser Übersetzung deutlicher werden, als es in den oft romantisierenden Übertragungen bisher zum Ausdruck kam.

Ekloge I,47: Weideland hast du genug, wenn der Felsgrund auch überall durchscheint …  

Die Autorin

Anna Elissa Radke, geboren 1940, Studium der Klassischen Philologie, Philosophie, Theologie und Slawistik, war als Gymnasiallehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität tätig.
Autorin von Lyrik in lateinischer, deutscher und polnischer Sprache. Übersetzerin lateinischer und polnischer Literatur ins Deutsche.


Rezensionen

Griechisch in Hessen
Jahrgang LX Heft l-3 2013

Brüchige ldylle. Vergils Hirtengedichte mit einer neuen Übersetzung von Anna Elissa Radke. Marburg 2013. Verlag Blaues Schloss. ISBN 978-3-943556-30-8. Mit einem Nachwort von Fidelis Rädle. 110 S


"Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen," hat Goethe zur Sache formuliert (Notizen und Abhandlungen zum Divan). Also eine "Italienische Reise" zum Verständnis von Catull, Lucrez, Vergil, Horaz? Nein, die Allermeisten derer, die im 20.Jh.
und seither in Bella Italia eingefallen sind, suchten dies Ziel nicht, und hätten sie es gesucht, sie würden das archaische Vitelliu, das Land der Kälber, oder die paradiesische Saturnia tellus, diesen wunderbaren Garten Eden, hervorgegangen aus dem Sieg des labor improbus über die pure Unwirtlichkeit bloßen Wildwuchses, den Vergil im Gedicht Über den Landbau so unnachahmlich beschrieben hat, im heutigen Zustande des Landes nicht wiederfinden. Wer nicht einmal mehr weiß, was er verloren hat, kann über das Verlorene keine Trauer empfinden. Sunt lacrimae rerum.

Die Übersetzer haben die o.g. Reise auch immer schon anders verstanden, nämlich als im Lande der Sprachen stattfindend. Wer etwas über den Fluß, die Berge, das Meer, überhaupt eine Grenze bringen will, der muß sich auf die Seite des Überzusetzenden begeben, oder noch banaler gesagt, man kann nichts übersetzen aus einer Sprache, in der man sich nicht zuvor heimisch gemacht hat. Und so versteht man den Satz Goethes besser: Auch auf dem Wege kommt man in Dichters Lande.

Nun ist aber Dichtung, speziell Lyrik, eigentlich unübersetzbar. Darüber sind sich - nicht erst seit Wilamowitz' berühmtem Vorwort zu Euripides, Hippolytos (1891, ND in: Reden und Vorträge I, l-36, 1925) - alle einig, die das je versucht haben. Und der Übersetzerin der Bucolica ist das, als einer im Metier der Produktion und Translation lateinischer poetischer Texte vielerfahrenen Kennerin und Könnerin selbstverständlich bewußt, obwohl das schmale Buch keinen methodologischen Teil enthält, in dem darüber reflektiert würde - denn das Nachwort von F. Rädle kann man nur sehr eingeschränkt dafür nehmen. Die im Allgemeinen bleibende Antworl auf das genannte Dilemma ist: Nur wer das Unmögliche sich vornimmt, schafft das Mögliche.

So ist Übersetzen ein permanentes Sich-Bemühen um Optimierung auf allen Ebenen der Näherung. Man sagt Schülern gern bei der vielschichtigen, anspruchsvollen Decodierungsarbeit: Neben unzählig vielen falschen gibt es aus dem Lateinischen im Einzelfall auch mehrere richtige Übersetzungen eines Satzes (von Texten wollen wir gleich gar nicht erst reden). Haben wir den Sinn entschlüsselt, arbeiten wir am Übersetzungswortlaut so lange, bis er uns als der bestmögliche erscheint. Dafür gibt es eine Reihe von Kriterien: Genauigkeit, Eingängigkeit, Knappheit, Verständlichkeit, gleiche Stilhöhe wie das Original, Stimmigkeit der Metaphern usw. Und eine Übersetzung ist dann falsch, wenn sie nicht mehr das Gleiche sagt, was der ursprüngliche Schreiber und/oder Sprecher sagen wollte. Daraus ergibt sich die Frage: wie weit darf eine Übersetzung, auch wenn sie keine handgreiflichen grammatischen Fehler enthält, sich von den Bildem, den Sprachgestalten, dem Wertesystem, dem kulturellen Plafond, der Weltsicht der Ausgangssprache entfemen? Darf aus einem Fuscus ein Ronny-Michail, aus einem Lycus mit schwarzen Augen und dunklem Haar ein Tadziu mit blondem Gelocke werden? Versucht man nicht doch besser, sich Maurische Speere und Bogen samt einem Köcher schwer von vergifteten Pfeilen vorzustellen, statt dass eine Kalaschnikova und ein Colt King Cobra bemüht werden? (Mehr Beispiele dazu S. 99ff.)

Dem Rezensenten erscheint dies als zu viel des "selbstbewußten Wagnisses" (so Rädle, 99). Wenn am Original nicht nur so viel äußere Verformung, sondern darüber hinaus so viel Sinn-Enteignung und Ersetzung der Leerräume durch Eigen-Sinn stattgefunden hat, dann hat die "wagemutige Aneignung", oder wie immer man das nennen will, den Gegenstand ihrer Annäherung aufgefressen - und das war doch wohl nicht die ursprüngliche Absicht des hermeneutischen Zugriffs.

Kommt letztlich noch hinzu, dass man die Generation G 8 oder die der Nullböcke, Yuppies, Eventniks usw. dadurch nicht erreicht, dass man nach ihren Bildern hascht und die Idylle brüchig werden läßt - bei Vergil war doch schon viel Unheil eingemischt: Da gibt es Vertriebene, Abgewiesene, Enttäuschte und Konkurrenz, Ausnutzung, Armut und eine diffuse Friedenssehnsucht nach all der Gewalt... Und eine eingewöhnte Zivilgesellschaft mit allem Komfort und mit über 60 Friedensjahren als Erfahrungshorizont ihrer Existenz um sich herum kann sich kaum wahrhaftig in das Bewußtsein etwa eines Soldaten versetzen, dessen gefährlicher Weg "durch den Persischen Golf, durch den Libanon oder Afghanistans Hochland führt".

Nein, diesen Disput um Ehrlichkeit der poetischen Aussage muß man hier nicht lostreten, denn dem Verfasser des Nachworts ist in dem Punkte uneingeschränkt zuzustimmen, dass die vorliegende Bucolica-Übersetzung als "seriös" charakterisiert und als "von fachlicher Kompetenz und tiefer Sympathie" getragen, "die sich herzhafter Frische verschrieben hat" - bei Letzterem wird man vielleicht doch einwenden: Ist der große Nachdenkliche, sensibel am Dasein Leidende, Stille im Lande, bei dem die Dinge weinen können und Trauerarbeit mit dem Satz beginnt: "Unsäglichen Schmerz forderst Du mich auf zu erneuern", mit "herzhafter Frische" je zu erreichen?

Doch für diese Charakterisierung ist die Übersetzerin ja nicht haftbar zu machen. Ihre Leistung ist die Anfertigung einer im Ganzen flüssig lesbaren, auch - bis auf ein paar peinliche Aussetzer - stilsicheren Umsetzung von Ecl. I.-X. in nicht gestelztes, unverkrampftes, heutiges Deutsch. Auf der rechten Seite wird parallel der Originaltext geboten. Die Offerte des Buchs ist ohnehin nur an zu erhoffende Leser gerichtet, die hier vergleichen können und schon ein gebildetes Vorverständnis zur Sache mitbringen. Text und Übersetzung sind nämlich ohne jede Kommentierung hingestellt, und wer auf so anspruchsvollem Verständnisniveau mit einer Vergil-Lektüre erst beginnen wollte, käme nicht weit. Als Beispiel nur die IV. Ekloge: Wer Erhellung der Nomenclatura, der chronologischen Hinweise, der Gliederung, der Gedankenführung, der Modulation der Motive, des mythologischen Hintergrunds usw. nicht schon im Instrumentenkasten hat, der hat zu einem Aufschluß der Rezeptionsgeschichte, die bei diesem Gedicht einen substantiellen Posten bildet, keinen Ansatz und die Übersetzerin nähert mit ihrer Version den Text so stark der christlichen Adaption an, dass man sich unwillkürlich fragt, ob dies einem definitiv paganen Text angemessen ist...

Es ist also weise, im Bedenken der vorauszusetzenden Eigenschaften der Zielgruppe potentieller Rezipienten, die im Lärm der Angebote auf dies Buch überhaupt aufmerksam werden, diese Entscheidung getroffen zu haben, ohne eigens daraufhinzuweisen. Dies werden nur Leute zur Hand nehmen, die über ein so und so bestimmtes Wissen um die historischpolitischen, poetologischen, biographischen, realien-kundlichen usw. Interpretationsvoraus-setzungen schon verfügen; und das wird sie auf beiden Seiten ein weiteres Mal bereichern.

Denn den Vergil zu lesen, selbst dort wo er die Kleine Form gewählt hat, ist noch in dritter, vierter oder fünfter - immer ein Stück verfeinerter, vertiefter, weiter gebrachter Annäherung im Original wie in neuer Übersetzung dank der Unerschöpflichkeit der Aspekte und der Unergründlichkeit der Weltdeutung des Menschheitsdichters aus Mantua eine anspruchsvolle Lust. Das wollen wir uns, nachdem wir einmal von seinem Wein und Honig gekostet, nicht mehr nehmen lassen. Und A. E. Radke hat uns dazu ein originelles Menu zubereitet.

Hans Günter Zekl



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