Veranstaltungen 2017
„Reisen ins Heilige. Mit Rudolf Otto unterwegs.“
Prof. Dr. Claus-Dieter Osthövener
Semestereröffnung des Fachbereichs Evangelische Theologie
am Montag, 16. Oktober 2017, 10 Uhr c.t.
am Montag, 16. Oktober 2017, 10 Uhr c.t.
Der Dekan Prof. Dr. Friedemann Voigt leitete das Thema der Semestereröffnungsrede mit einigen Worten zu Rudolf Ottos „Das Heilige“ ein:
„Ein eigenwillig faszinierendes Leseerlebnis für alle, die sich weder von der Syntax noch dem religiösen Virtuosentum des Werks irritieren lassen. In Leben und Werk Rudolf Ottos, der von 1917 bis zu seiner Emeritierung 1929 hier an unserer Universität lehrte, gibt es viel mehr zu entdecken als nur dieses eine berühmte Buch.“
Dann stellte der Dekan den Vortragenden Prof. Dr. Claus-Dieter Osthövener als einen ausgewiesenen Spezialisten für Rudolf Otto vor: „Nach Studium in Göttingen wurde er mit einer Arbeit ‚Die Lehre von den göttlichen Eigenschaften‘ bei Karl Barth und Friedrich Schleiermacher promoviert. Dann war Osthövener wissenschaftlicher Assistent für systematische Theologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und hat sich mit einer Schrift über die „Transformationen des Erlösungsgedankens im 19. Jhd.“ über Schopenhauer, Wagner und Nietzsche habilitiert. Nach Lehrstuhlvertretungen hatte Osthövener von 2007 bis 2015 den Lehrstuhl für systematische Theologie an der bergischen Universität Wuppertal inne und ist derzeit Professor für systematische Theologie und Geschichte hier bei uns [in Marburg].“
Osthövener eröffnete seinen Vortrag mit einem Bezug auf das Reisen schlechthin. „Reisen bildet. Reisen bilden Religionen.“ Oder: „Die Menschheitsgeschichte beginnt mit einer Reise. Nicht ganz freiwillig mit einfachen Mitteln und ohne Rückfahrkarte.“
Eine poetisch-theologisierende Beschreibung unseres Lebenslaufs, der mir eher einem Wettlauf mit dem Tod oder einer Vertreibung in die Welt zu ähneln scheint als ein mehr oder weniger komfortables Reisen. Aber im Zeitalter des Euphemismus mögen wir uns als Seelentouristen auffassen, die im Reisegepäck jedoch lieber diverse Kreditkarten und Reiseversicherungen haben als ein Gesangbuch.
Folgt man den Worten des Referenten, so war es bei Rudolf Otto noch ein wenig anders: „Otto war unter den Theologen des 20. Jahrhunderts der große Reisende. Auf jeden Fall derjenige, der am meisten aus seinen Reisen zu machen wusste. Sie führten ihn an viele Orte, zu vielen Zielen, aber eben auch ins Heilige, ja, in ‚Das Heilige‘.“
„Das Buch“, so Osthövener „ist vor hundert Jahren erschienen. Es gehört zu den wenigen Bestsellern der Theologie des 20.Jahrhunderts und es ist auf seine Weise auch sehr modern, nicht zuletzt auf Grund seiner leicht sperrigen Unzeitgemäßheit damals wie heute. In diesem Buch entwirft Otto eine der bedeutendsten Religionstheorien seines Jahrhunderts, deren Bedeutsamkeit nicht zuletzt darin besteht, dass sie sowohl mehr als auch weniger als eine Theorie ist.“
Die Stärken und Bruchstellen einer Theorie zeigen sich besonders im Umgang mit Religionen. Denn „Religionen erschöpfen sich nicht in Texten, nicht in Worten und schon garnicht in Lehrsystemen. Sie enthalten sämtlich eine ganze Fülle von Elementen, die sich dem begrifflichen und argumentativen Zugriff entziehen, mitunter überhaupt der Sagbarkeit.“
Das Unbegreifbare ist eben „das Irrationale, das Unverrechenbare, wenn man so will, das Überschwängliche in den Religionen [..]. Diesem Phänomen versucht Otto nahe zu kommen in einem Buch, das also sprachlich durchaus auch begrifflich und argumentativ aber eben doch mit einer steten Aufmerksamkeit darauf, das mit Büchern, Argumenten und Begriffen nicht alles gesagt, geschweige denn getan ist. Ein unmögliches Unterfangen in gewisser Weise und gerade deshalb so aufschlussreich. Es ist nicht nur ein Buch über die Religion, sondern auf seine ganz eigene Weise auch ein religiöses Buch.“
Und ein religiöses Buch, erschienen im kleinen Breslauer Verlag Trewendt und Granier, war 1917 mitten im „Erdbeben von Europa“ von Nöten. Denn so charakterisiert Arno Widmann in der Online-Ausagbe der Frankfurter Rundschau vom 30.12.2016 in seiner Buchbesprechung „Das Heilige“ die damalige Situation: „Der liebe Herr Jesus, wie das 19. Jahrhundert ihn so gerne gemalt und gebildhauert hatte, war in den Stahlgewittern des Ersten Weltkrieges zerschossen worden. Der Gott, von dem Otto sprach, war der Gott, den eine ganze Generation gerade kennengelernt, wenn sie ihn dabei nicht verloren hatte“, und er fügte hinzu: „‘Das Heilige‘ – das war die Botschaft Ottos – hebt uns nicht nur in die Höhe. Es zwingt uns auch in die Knie. Es macht uns Angst. Es ist übermächtig, und wir kommen ihm mit unserem Verstand nicht bei. Gott ist gewaltig, ein faszinierendes Tremendum, wie der Gelehrte schrieb.“
So traf das Buch den Nerv der damaligen Zeit bzw. den Nerv der noch in den Schützengräben liegenden Soldaten, zu denen auch Paul Tillich und Theodor W. Adorno gehörten.
So traf das Buch den Nerv der damaligen Zeit bzw. den Nerv der noch in den Schützengräben liegenden Soldaten, zu denen auch Paul Tillich und Theodor W. Adorno gehörten.
Im Angesicht der Leichenberge zu glauben, „dass der Allmächtige auch ein Allverderber sei“, war für die Soldaten insoweit „eine Befreiung“, so Widmann. „Weil an so einen [doppelgesichtigen Gott] zu glauben, nicht mehr hieß, die Wirklichkeit leugnen zu müssen.“
Relevant scheint mir nun der Gedanke Widmanns zu sein, dass Rudolf Otto bereits vor dem 1. Weltkrieg bei seinen Weltreisen auch diese Doppelgesichtigkeit des Heiligen kennengelernt hatte, sowohl bei dem eifersüchtigen Jehova, als auch bei der alles zerstörenden und wiederbelebenden Kali u.s.w, sowie das Phänomen: „Wo immer die Menschen durchdrungen wurden von einem Übermächtigen, da erfuhren sie es. Sowie sie es begreifen wollten, verloren sie es.“
Schon damals auf seinen Reisen begann Otto anscheinend zu begreifen: „Gott war kein gütiger Vater, keine „holde Ruh“.
So war es dann wohl auch mit der Ruhe Karl Ottos vorbei und mit Europas Ruhe spätestens mit dem Beginn des ersten Weltkrieges.
Theologisch scheint mir der Gott als „summum bonum“ oder als der „barmherzige“ Gott aus diesem Schutt des Erdbebens von Europa und den folgenden der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in der Tatsächlichkeit seiner Liebe noch nicht wieder überzeugend hervorgegraben worden zu sein. Und so kann deshalb die schlicht aus der Luft gegriffene Annahme: „Gott hat uns alle (nur) lieb!“ bestenfalls als Wunsch oder Wirkung eines Placebos aufgefasst werden.
Das haben wahrscheinlich die meisten Menschen, die nüchtern in die Welt sehen, begriffen, und auch deshalb werden die Kirchen immer leerer oder füllen sich, verwandelt in gutlaufende Kneipen oder Schnellimbisse.
Zusammenfassend möchte ich zum Vortrag „Reisen ins Heilige. Mit Rudolf Otto unterwegs.“ bemerken, dass Professor Osthövener die zahlreichen jungen Erstsemester immerhin auf eine Reise ins Religiöse neugierig gemacht und ermutigt hat. Und das junge Lachen in der Alten Aula klang für mich gleichsam wehmütig als auch hoffnungsvoll: befreiend oder zumindest noch frei. - Das Tremendum fordert seinen Obolus schon früh genug.
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Im Rückblick:
XXXII DVRW-Tagung
Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaften
Medien - Materialität- Methoden
Philipps-Universität Marburg 13.09.-16.09.2017
Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaften
Medien - Materialität- Methoden
Philipps-Universität Marburg 13.09.-16.09.2017
Einladung zur XXXII DVRW-Tagung
"Wir freuen uns, Sie zu der alle zwei Jahre stattfindenden Tagung des Fachverbandes der Deutschen Vereinigung der Religionswissenschaft vom 13. – 16. September 2017 in der Universitätsstadt Marburg begrüßen zu dürfen.
Das Leitthema der DVRW-Tagung 2017 sind Dynamiken der Kommunikation in und über Religionen. Dies erfolgt mit besonderem Blick auf ihre Erscheinungs- und Repräsentationsformen. Die großen Leitbegriffe des Titels "Medien, Materialität und Methoden" stehen dabei für weit gefasste Themenfelder und Fachdebatten. Sie sollen Präsentationen zu aktuellen Forschungsprojekten sowie ein Diskursforum zu einer fachlich fokussierten und zugleich interdisziplinären Ausrichtung von Religionswissenschaft ermöglichen. Den Rahmen für den fachlichen Austausch bieten neben Vorträgen in Panels und Poster-Präsentationen auch der Keynote-Vortrag, eine Roundtable-Diskussion, Festveranstaltungen und kreative Zwischenräume.
Näheres zum Inhalt finden Sie auf der Seite "Tagungskonzept".
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