Über-Freiheit-und-Lust-Schmitt - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2018




Prof. Dr. Arbogast Schmitt
zum 75. Geburtstag

Über Freiheit und Lust,
eine zu wenig beachtete
Erklärung der Willensfreiheit

Sonntag, 29. April 2018, 11 Uhr, Café Vetter in Marburg



Ludwig Legge eröffnet die Lesung über "Freiheit und Lust"

„Meine sehr geehrten Damen und Herren, bisher sind von Herrn Arbogast Schmitt die beiden Bände „Homer und wir“ und „Moral und Lust“ im Verlag Blaues Schloss erschienen, und auch der heutige Vortrag „Freiheit und Lust - Eine zu wenig beachtete Erklärung der Willensfreiheit“  ist natürlich eine notwendige Ergänzung und wird demnächst als Band 23 in der Reihe 'Uni im Café`' publiziert werden.
     Meine Damen und Herren, Professor Horst Schwebel, der sich sehr gut im Werk von Arbogast Schmitt auskennt, auch mit den beiden Schutzheiligen Aristoteles und Platon, wird jetzt eine Einführung geben. Ich wünsche Ihnen einen sehr anregenden Vormittag, denn Freiheit und Lust, wer dächte nicht gelegentlich darüber nach.“



Einführung von Prof. Horst Schwebel

„Wir haben heute die Erinnerung an den Geburtstag von Arbogast Schmitt, der am 24. April 75 Jahre alt geworden ist. Er wird anlässlich des Geburtstages zu uns sprechen und Roswitha Aulenkamp wird ihn hier  am Klavier mit Bach und mit Debussys  „Versunkener Kathedrale“ begleiten. Ich will ganz wenig sagen, damit ich nicht die Zeit, die Arbogast Schmitt für dieses interessante Thema braucht, zu anderen Dingen missbrauche.

Arbogast Schmitt hat zwei große Bücher geschrieben. Eines zu Platon „Die Moderne und Platon“ und dann „Aristoteles Poetik“. Das sind Bücher, die auch sehr dick sind. Die Poetik von Aristoteles hat siebenunddreißig Seiten, Schmitts Buch hat 800 Seiten. Aber es ist auch ein höchst interessanter Kommentar, wobei Grundfragen der Philosophie erörtert werden, ausgehend von Aristoteles, und man konnte schon bei diesem Buch sehen, dass  Arbogast Schmitt auf Grund der Auseinandersetzung mit Aristoteles eine eigene Erkenntnistheorie entwickelt hat. Also er bleibt nicht philologisch, exegetisch interpretierend, sondern es wird eine autonome Erkenntnistheorie daraus entwickelt. Und dies ist auch im Buch deutlich geworden „Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung?“ Es ist sein letztes Buch, und ich kann jetzt nicht vieles dazu sagen, aber wenigstens das Zitat eines Rezensenten aus der theologischen Literaturzeitung nennen: „Es ist zwar  nicht das Buch schlechthin,  wohl das Buch über Vernunft, das unserer Zeit bisher fehlte.“ Also eine sehr beachtliche Rezension.

Ich möchte lediglich auf den Denker Epiktet hinführen, weil ich bei ihm einen Satz gefunden habe, der das ausspricht, was die Lebensphilosophie von Arbogast Schmitt betrifft. Epiktet, ein Grieche, ein Sklave, lebte in Rom. Er hinkte sein Leben lang, weil ihn sein Herr verprügelt hatte. Er wurde in Rom ein bedeutender Philosoph, geboren 50 n. Chr., gestorben 135 n. Chr., ein stoischer Philosoph, musste aber unter Kaiser Domitian nach Griechenland fliehen, wo  er dann ein sehr wichtiger Mann wurde. Er gründete eine Schule und viele Menschen mochten ihn, weil er ein ganz sanfter Stoiker war. Sein Thema ist die Freiheit, genau wie Arbogast auch die Freiheit zum Thema hat. Allerdings machte das Epiktet anders. Bei Arbogast heißt es heute Freiheit und Lust. Epiktet hingegen war ein Stoiker, der es mit der Lust weniger hatte. Eher mit Freiheit und Notwendig oder Freiheit und Begierde, wobei er sich dann doch immer für die Freiheit entschied. Jetzt könnte man sagen, nun gut, ein Stoiker sagt  ja gerade das Gegenteil, was Arbogast sagt.  Trotzdem  habe ich ein Zitat bei ihm gefunden. Epiktet glaubte an Gott. Gott ist für ihn derjenige, der die Ordnung schafft, der jedem seinen Platz zuweist, dem Bettler, dem Herrscher, dem Philosophen. Er hat die Gouvernance über die Welt. Man muss sich da fügen, wo man hingeführt wird, so Epiktet.

Aber er hat noch einen anderen Gedanken und zwar: das Leben ist ein Festmahl. Gott hat ein Festmahl bereitet. An diesem Festmahl kann man teilnehmen, einer sitzt vorne, der andere hinten, aber das Leben ist ein Festmahl. Und nun möchte ich dieses Zitat in griechisch und deutsch darlegen:
 
„Ich danke dir über alle Maßen,

χάριν σοι ἔχω πᾶσαν,

dass du mich gewürdigt hast, an diesem Festmahl teilzunehmen,

ὅτι ἠξίωσάς με συμπανηγυρίσαι σοι

und deine Werke zu sehen und um inne zu werden wie du mich geführt hast."

καὶ ἰδεῖν ἔργα τὰ σὰ καὶ τῇ διοικήσει σου συμπαρακολουθῆσαι σοί.’

Und nun an Arbogast gerichtet:

Mit solchen Gedanken beschäftigt, während ich darüber schreibe und es klar vor Augen habe - so möchte ich sterben'.

ταῦτά με ἐνθυμούμενον, ταῦτα γράφοντα, ταῦτα ἀναγιγνώσκοντα καταλάβοι ὁ θάνατος.


Beginn der Lesung "Lust und Freiheit" durch Arbogast Schmitt


Foto: K.H.Schumacher


Musikbegleitung von Roswitha Aulenkamp:

1. Johann Sebastian Bach   -   Präludium und Fuge b-moll ( Wohltemperiertes Klavier B.I )
2. Claude Debussy  -  La cahtedrale engloutie ( Die versunkene Kathedrale - Préludes B.I )
3. Johann Sebastian Bach  -  Präludium C-Dur ( Wohltemperiertes Klavier - B.I )
     dazu 1. und 2.Variation ( a la Jaques Loussier )
4. Variation und Finale: Roswitha Aulenkamp ( Zum Geburtstag "Viel Glück" )


(Das Folgende ist eine Wiedergabe vom Anfang des in freier Rede gehaltenen Vortrags)

„Ich möchte mich sehr bedanken, Frau Aulenkamp, dass Sie diesen wunderbaren Bach gespielt haben. Ich denke, der Hinweis auf Aristoteles sollte heißen, dass hier mehrere selbstständige Stimmen so wunderbar zusammengefügt sind, dass sie geradezu eine zahlhaft geordnete Einheit und Harmonie miteinander gebildet haben. Das sind sogar fünf Stimmen, die zusammengefügt worden waren, vielen herzlichen Dank.
     Herzlichen Dank auch, dass ich hier reden darf, und das ich so freundlich eingeführt worden bin von Herrn Legge und von Professor Schwebel.

Der letzte Satz, den Herr Schwebel nur noch griechisch zitiert hatte, lautet ungefähr verkürzt:  „Das wollte ich noch erkennen, das noch erleben, dieses Fest, bevor ich sterbe“.  

Nun ja, ich hoffe, dass es uns nicht ganz so schlimm mit dem, was ich heute vortrage, ergeht. Aber das, was wir heute behandeln wollen, ist ein wirkliches Vexierthema. Es ist unendlich oft behandelt worden, und es ist deshalb auch nicht ganz leicht in einer Stunde zu erläutern. Vor allem, weil man erst einmal viel beiseiteschaffen muss, bevor man an die Sache selber kommt, die mir relativ einleuchtend zu sein scheint. Ich versuche es am Ende deutlich zu machen, auch wenn es nicht ganz leicht ist.



Herr Legge hat schon darauf hingewiesen, dass das Thema natürlich eine Verwandtschaft mit dem Verhältnis von  Moral und der Lust hat. Es ist eine gewisse Fortführung davon. Deshalb wiederhole ich das eine oder andere, allerdings unter dem neuen Gesichtspunkt.

Wenn man sich mit der Frage befasst, was denn die Neuzeit oder die Moderne zur Moderne macht, dann kann man feststellen, dass es eigentlich die freie Selbstständigkeit der Vernunft ist, die uns auch zu freien Menschen macht, die uns frei macht, die Natur zu beherrschen, die uns befreit von der Abhängigkeit von der Natur, und uns zu Menschen macht, die selbst bestimmen können, die also einen freien Willen haben. Wenn man das so sieht, dann kann man sich schon wundern, wenn man sich der Frage des freien Willens zuwendet, dass nämlich ausgerechnet die Moderne, und unter modern will ich nicht die Moderne, die um 1900 begonnen hat und auch nicht die verstehen, die wir mit der Aufklärung verbinden, sondern die, die sich von dem Mittelalter und der Antike abgewendet hat, das ist die Renaissance. Seit der Renaissance sind wir einerseits freie, individuelle, selbstständige Menschen. Gleichzeitig finden sie seit dieser Zeit eine Fülle von Texten, die jetzt auch naturwissenschaftlich unterstützt werden, die einen freien Willen bestreiten. So etwas wie einen freien Willen kann es eigentlich  nicht geben. Und wenn man fragt: wie kommen wir denn dazu, dass wir das bestreiten, dann werden wir allerdings mit Aristoteles konfrontiert.

Es ist nicht etwa eine Vorliebe von mir, dass ich immer gerne über Aristoteles rede, sondern wenn man verstehen will, was denn das Neue an der Neuzeit und an der Moderne ausmacht, dann ist das immer in ganz entschiedener Weise die Abwendung von den theologischen Dogmen des Mittelalters und von Aristoteles, der das alles noch bestätigt und erklärt hat, wie wir immer wieder hören. Also die Abwendung von Aristoteles ist wichtig, aber im welchem Sinn?



Wenn die Moderne darin besteht, dass wir uns von den theologischen Dogmen befreit haben, und von der Autorität der Bücher, dann ist das neue Ziel: hin zu den Dingen selbst. Wir wollen uns nicht mehr über irgendwelche Bücher informieren und uns im Licht der Vernunft irgendetwas erklären lassen, sondern wir wollen die Dinge selber beobachten, wissenschaftlich untersuchen, vergleichen, bestimmen, und verarbeiten. Das ist die neue Aufgabe, die sich für die Neuzeit stellt. Ich glaube, es gibt hunderte von Autoren, bei denen man immer wieder das Gleiche lesen kann: Also wir wollen jetzt Schluss machen mit der Herrschaft von Worten und Begriffen. Jetzt gehen wir zu den Dingen selbst. Die untersuchen wir mit Mathematik und Methode. Das ist das Neue.

Das ist ohne Frage eine wichtige Wende, allerdings ist in dieser Wende eine Form von Empirie entstanden, die die Empirie in gewisser Weise überfordert. Denn wenn man sagt: alles, was wir wissen, wissen wir aus Beobachtung und ihrer Verarbeitung, dann bedeutet dass, das alle Begriffe die wir haben, nicht von der Vernunft gebildet sind, genauer: sie stammen  nicht aus der Vernunft als Quelle, sondern sie sind Verallgemeinerungen der Erfahrungen mit den Dingen. Das bedeutet, dass alles, was in unseren Begriffen ist, wenn es zutreffend sein soll, dann muss es in den Dingen schon selbst gewesen sein. Nicht mein Begriff von Katze sagt, was sie ist, sondern die Katze selbst sagt mir das. Das bedeutet, die Dinge sind real, was im besten Fall optimal im Begriff sein könnte. Das heißt aber - und diese Folgerung hat bereits die frühe Neuzeit gezogen - , vor allem die Aufklärer wie Christian Wolff, der hier in Marburg war: die Dinge gelten als wohlbestimmt, als durchgängig bestimmt. Sie sind auf jede Weise determiniert. Und da die Dinge ja nicht feste Größen sind und sich in der Welt ändern, sie immer wieder das sind, was sie in der Ordnung des Ganzen sind, muss daraus die Folgerung gezogen werden, dass nicht nur die Einzeldinge wohlbestimmt sind, sondern die ganze Welt. Sie ist ein notweniger determinierter Kausalnexus. Dann ist die Folgerung, die man gezogen hat natürlich, dass, wenn die ganze Welt ein determinierter, notwenig aufeinander folgender Kausalvorgang ist,  es keinen freien Willen geben kann. Also das ist leider das Grundproblem, mit dem wir uns erst lange beschäftigen müssten. Da ich das jetzt nicht so umfangreich machen kann, weise ich auf etwas, was ich gerade geschrieben habe und das bald erscheinen wird „Freiheit und Lust“  im Verlag Blaues Schloss. Dort erkläre ich es dann genauer.

Wie steht es nun um den Determinismus? Das  ganze Problem des Determinismus ist, dass er sich aus der Erfahrung nicht begründen lässt. Das ist das, was zum Beispiel David Hume gesagt hat: „Woher wollen wir denn wissen, das alles eine notwenige Ursache hat?“ In der Erfahrung findet man manchmal notwendige Ursachen, dann regelmäßige und dann aber auch zufällige. Wobei die Frage ist, ob man den Zufall wie bei Aristoteles unter die Ursachen einrechnet, auch der Zufall ist ja eine Ursache, oder ob man den Zufall aus der Ursachenkette ausschließt, wie es die Moderne macht. Das würde Aristoteles kritisieren.

Also wenn zum Beispiel ein Getreide aufwächst und es sind alle notwendigen Bedingungen da, dass  es wachsen kann. Der Boden ist gut, und der Regen und die Sonne, alles ist da und es kommt jetzt eine Schar frecher Buben und zertritt die aufbrechende Saat, dann ist es notwendig, dass dieses Getreide nicht so wächst, wie es sein sollte. Es war aber nicht notwendig, dass die Buben da hineingesprungen sind. Dazu sagt einer der besten Logiker der Antike Alexander  von Aphrodisias:  'Es ist zwar notwendig, dass alles eine Ursache hat, aber daraus folgt nicht notwendig, dass alles eine notwenige Ursache hat. '“

Odysseus und Penelope im Vergleich mit Jason und Medea



Im Weiteren führte  Schmitt umfassend das Thema an den Beispielen von Odysseus und Penelope sowie von Jason und Medea aus. Im ersten Fall als eine Beziehung, die durch Dauer der Zuneigung, durch das Festhalten am Ziel des Wiedersehens im Sinne einer höheren Lust oder Freude bestimmt ist, hingegen die Beziehung zwischen Medea und Jason heftig, leidenschaftlich, bedingungslos und somit bei Enttäuschung der Medea, - die daraufhin ihre gemeinsamen Kinder  tötet -, ebenso bedingungslos zum Untergang strebt.

Nach  Schmitt wächst in der kulturveredelten Lust die Freiheit in der Lust und die Höhe der Lust. Womit die kultivierte Lust die höchste und freieste wäre und die erstrebenswerteste.

Kommentar: Lust oder Unlust - Freude oder Last der Kultur

Das wirft aber die Frage auf, warum gerade in der Höhe einer Kultur besonders die niedrigen, gewissermaßen archaischen Lüste faszinierend werden, also warum Kultur ab einen gewissen Punkt „kippt“ gleichsam dem höchsten Punkt einer Welle, wie es Sigmund Freud recht pessimistisch in seiner Schrift „Über das Unbehagen in der Kultur“ dargelegt hat: als ein Abschütteln von Kultur wie eine Last, die auf einmal lästig geworden ist. Nichts anderes ist die dekadente Endphase der Kultur, wie sie nun gegenwärtig ist oder der Tanz auf dem Vulkan oder die Sehnsucht nach Ekstase, die sich wiederum in das Spiel mit dem Tod und dem Untergang  steigert.
Aber sicher hat  Schmitt recht, dass kultivierte Lust mit Freiheit beziehungsweise Freiwilligkeit (Kultur tragen zu wollen) verbunden ist, hingegen barbarische Lust zum Einfallstor des Zwanges und der Unfreiheit wird.
Ganz im Sinne des Dämons, der flüstert: „Ich mache dich frei von aller Kultur und von ihren Zwängen“, der aber  nicht sagt, dass er damit sein Opfer ganz seinem Zwang unterwirft.
Somit mag Arbogast Schmitt als Mahner für die Freiheit stehen, die an die Entfaltung von Kultur gebunden bleibt. Dass also beides zusammengehört und dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist.
Gedanken rufen immer weitere Gedanken hervor, Forschungen ziehen neue Forschungen nach sich, Gedichte bilden Anregungen für ihre Verwandlungen in gleichgeartete Versuche und Ausrichtungen auf verwandte Stimmungslagen.
Gedanken rufen immer weitere Gedanken hervor, Forschungen ziehen neue Forschungen nach sich, Gedichte bilden Anregungen für ihre Verwandlungen in gleichgeartete Versuche und Ausrichtungen auf verwandte Stimmungslagen.

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Reihe Uni im Café 3
Schmitt, Arbogast
Homer und wir
Kartoniert, 46 Seiten
ISBN 978-3-943556-13-1
Preis: 7,95 €


Uni im Café 21
Schmitt, Arbogast
Moral und Lust
Eine Kultur des Gefühls
als Grundlage der Ethik bei Aristoteles
Kartoniert: 66 Seiten, 2 Farbabb.,1 s/w Abbildung
ISBN 978-3-943556-67-4
Preis: 8,50 €


Uni im Café 23
Schmitt, Arbogast
Freiheit und Lust
Über eine zu wenig beachtete Erklärung der Willensfreiheit
ISBN 978-3-943556-76-6
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Freiheit und Lust

Zum Buch:

Was ein freier Wille ist, gilt als nur schwer oder gar nicht erklärbar, jedenfalls wenn man sich auf der Höhe einer modernen Reflexion bewegen will:

Viele sind überzeugt, dass alles kausal determiniert ist, also muss es auch der Wille sein. Glaubt man an eine Unterbrechung der Kausalordnung durch den Zufall, reicht das nicht als eine Begründung für die Willensfreiheit. Kaum verstehbar ist aber auch, wie (Natur-)Notwendigkeit und (subjektive) Freiheit nebeneinander bestehen können sollen.

Gemeinsam ist aber den vielen sich gegenseitig bekämpfenden Theorien, dass der Wille als ein reines Entscheidungs-Vermögen verstanden wird. Frei kann er ja nur sein, wenn er sich auch gegen das erkannte Richtige, also gegen die Vernunft entscheidet.

Bekanntlich hat aber auch eine Entscheidung gegen die Vernunft Gründe. Selbst wer nur noch ein Glas Wein mehr trinken will, als es vernünftig ist, trifft keine reine Entscheidung, sondern greift nur zum Glas, weil er die Qualitäten des Weins kennt und sich die Lust an seinem Genuss in der Zukunft vorstellt.

Es war der sorgfältige Aristoteles, der deshalb nachgewiesen hat, dass jeder Wille ein Produkt aus mehreren geistigen Akten ist: man muss etwas erkennen, das Angenehme und Gute an diesem Erkannten mit Lust (das Gegenteil mit Unlust) empfinden und beides durch die Vorstellung in die Zukunft verlängern. Dann entsteht ein Wille (für oder gegen etwas). Dieser Wille kann einer Wahr-nehmungserkenntnis entspringen, oder einer Meinung, meistens über Lüste und Unlüste, die mit Anerkennungsphänomenen verbunden sind, er kann auch aus einer tatsächlich vernünftigen Erkenntnis kommen. Sich gegen die Vernunft entscheiden, heißt deshalb nicht, etwas irrational wollen, sondern einen unvernünftigen, von bloßen Meinungen oder Anschauungen abhängigen Willen haben. Diese Art der Analyse führt dazu, dass nicht jeder Wille frei ist, sondern nur der, der das will, was einem wirklich gut tut. In diesem Sinn gibt es eine zur Freiheit führende Erziehung des Willens, die – wie sittliches Verhalten im allgemeinen – auf einer Kultur des Gefühls beruht.

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