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Theologie und Literatur
Eine Betrachtung zu
Hans-Martin Barths
Schrift zur Evangelienharmonistik
"Das Leben Jesu"
von F. Rückert
"Die Idee, die vier Evangelien zu einem einzigen Werk zusammenzufassen, ist ja nicht neu", erläutert Hans-Martin Barth.
Er verweist auf das Diatessaron (siehe oben) im II. Jahrhunderts n. Chr. des Theologen Tatian sowie auf Victor von Capua (gest. 551) der Tatians Anliegen u.a. in lateinischer Sprache weiterverfolge als auch auf Andreas Osiander, der in der Reformationszeit mit seiner „Harmonia evangelica“ (1537) gewirkt habe. Des Weiteren habe im Pietismus Johann Albrecht Bengel mit „Richtige Harmonie der Vier Evangelisten“ (1736) die Idee, die Evangelien literarisch zusammenzufassen, fortgesetzt.
Tatian 2. Jhd.n. CHr. Victor von Capua (gest. 551) Andreas Osiander (1537) Johann Albrecht Bengels (1736)
Quellen: Wikipedia
Jedoch „Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Exegese erlosch das Interesse an der Evangelienharmonistik“, so Barth.
Was mögen die Gründe dafür gewesen sein?
Zum Beispiel, dass die bereits im Einfluss der Aufklärung stehende Exegese sich nun eben als kritisch und historisch verstand. Kritisch im Sinne eines Beweisbedürfnisses für die Tatsächlichkeit der Ereignisse in der Heiligen Schrift und historisch, bezogen auf historisch nachweisbare Quellen.Ziel war natürlich nicht, die Heilige Schrift mit dieser Art der Exegese zu widerlegen, sondern vielmehr sie zu bestätigen.
Ein riskantes Unterfangen, wie es bereits der französische Ägyptologe JEAN-FRANÇOIS CHAMPOLLION (1790–1832) erfahren musste.
Waren nämlich besonders in Frankreichs Restaurationszeit die Zeitabläufe in der Heiligen Schrift Glaubenspflicht, und war auf Grund von Rückrechnung die Sintflut auf das Jahr 2200 vor Christus datiert, so erkannte hingegen Champollion, dass die ägyptische Kultur bereits lange vor dieser Zeit bestand. Das aber öffentlich zu sagen, war höchst gefährlich für ihn.
Er legte dem Duc de Blacas, das Gelübde ab, das heikle Thema nicht zur Sprache zu bringen. Eben sowenig, dass die Religion der alten Ägypter ein gleichermaßen reiner Monotheismus gewesen sei wie das Christentum.
Spätestens damit drehte sich das historische Vorgehen als Mittel zum Beweis des nun zum Mittel gegen den Glaubens um.
Den Glauben mit Hilfe literarischer Unterstützung wieder zurückzugewinnen, war wohl hingegen ein Anliegen von F. Rückert für seine Evangelienharmonistik. Obwohl er selbst auch ein hochbegabter Übersetzer in der Orientalistik war und u. a. die "Die Weisheit des Bramanen" (1839) und "Bramanische Erzählungen" (1839) erstellte, sowie den Koran, wenn auch nicht vollendet (180-1826) übersetzte.
Hatte also einerseits die historisch-kritische Exegese kein sonderliches Interesse an literarischen Verbrämungen der Heiligen Schrift auf Grund des Unfaktischen der Literatur an sich, so zeigte sich auch die Theologische Dogmatik wenig von der Hochzeit von Literatur und der Heiligen Schrift angetan, weil sie dadurch die Klarheit der Quellen, sowie die Autorität des „Wortes Gottes“ nahezu wörtlich verwässert sah. Zumal der Gedanke aufzuschimmern drohte, dass die Heilige Schrift schlicht einfach Literatur sei.
Der Glaube sah sich also von der Seite der kritisch-historischen Exegese, als auch von der profanen literarischen Umgestaltung und somit Entgöttlichung des Wortes Gottes angefochten.
Was in gewisser Weise ein paradoxer Standpunkt war, falls die literarische Arbeit, eben wie es bei Rückert der Fall war, gerade eben durch ein Glaubensbedürfnis inspiriert war.
Denn, so der untergründige Gedanke: Glauben sei ja eine Tatsache und habe insoweit nichts mit "glauben" zu tun. Eine irritierende Auffassung, die dann zustande kommt, wenn Glaube mit Wahrheit und diese wiederum mit Tatsache gleichgesetzt wird, was aber unabhängig vom Inhalt eines Glaubens bereits ein Widerspruch ist.
Die bereits seit mehreren Jahrhunderten schwelende Glaubenskrise im Christentum verweist grundsätzlich auf die Schwierigkeiten im Umgang mit mythologischen Schriften, sowie auf ihr vielschichtiges Entstehen und Funktionieren, als auch auf ihr Fürwahrhalten im historischen als auch im dogmatischen Sinn.
K. H. Symon