Veranstaltungen 2017
Gerhard Marcel Martin
Was brennt denn da?
Kurzprosa und andere Gattungen
So, 26. März, 11 Uhr, Café VetterAnlässlich seines 75. Geburtstags präsentierte Gerhard Marcel Martin seine spezielle mehrstöckige Geburtstagstorte: Probestückchen des Schräg-Experimentellen, ästhetisch-inhaltlich üppig belegten Tortenboden, Randerfahrungen über Schokoladenüberzug und Karamellkruste weit hinaus, Abgrundschnittchen mit Geheimniskern, an denen die Menschheit fast immer wieder zu Grunde zu gehen droht, und doch einfach zu süß und zu heilsversprechend, um davon lassen zu können. Dass diese Torte eine Torte ist, steht außer Zweifel. Nur, was für eine? - Geburtstagstorte? Hochzeitstorte? Torte auf dem Vulkan? Leichenschmaustorte? Oder sogar Henkersmahlzeittorte? Das muss jeder Geschmack für sich entscheiden. Die Gerhard-Marcel-Martin-Torte schmeckt eben jedem so, wie er eben is(s)t.
Das silberne Tablett für diese vielstöckige Babeltorte präsentierte der Theologe und Autor Horst Schwebel - in diesen Dingen ganz ein alter Hase -, der somit sogleich wusste, wann das erste Mal im Café Vetter ein Theologe literarische Texte las. Es geschah im Jahre des Herren 1975, als Ernst Benz unter anderem auch „Asiatische Begegnungen“ las. Doch selbst Gerhard Marcel Martin war bereits als Autor eines theologischen Textes im Café Vetter und trug Apokalyptisches vor. Er war einer der ersten, genauer der zweite Band in der „Uni im Café“ Reihe des Verlags Blaues Schloss, die mit dem Beitrag des 2015 verstorbenen Claus Uhlig über Jane Austen eröffnet wurde.
Diesmal aber nun Literarisches von Gerhard Marcel Martin. Horst Schwebel machte in seiner Einführung den Versuch, den Entgrenzer einzugrenzen. Er charakterisierte ihn als poète à l’écart, zumal die Grenze vom Mittelpunkt des Umgrenzten aus gesehen, das Abseitigste ist. Die Peripherie ist nicht nur das Entfernteste vom Mittelpunkt eines Dings, sondern zudem Nochding und zugleich ein fast Nichtmehrding. Der Rand oder die Peripherie ist etwas über sich Hinausragendes oder in etwas Hineinragendes. Randerscheinungen in diesem Sinn sind eben nicht die unwesentlichen Erscheinungen. Zumindest dann nicht, wenn man die Peripherie eines Menschen als eine Randerscheinung auffasst. (Bild rechts: Foto von Karl-Hans Schumacher).
Zudem ist Gerhard Marcel Martin ein Meister der Beschreibung des lieu écarté, des abgelegenen Orts, ein Columbus der versteckten und verborgen Seeleninseln, ein einsamer und zugleich geselliger Seefahrer, der aber klug genug ist, die genaue Verortungen seiner entdeckten Welten nicht leichtfertig preiszugeben, zeichnet sich doch der wahre Menschenfreund eben auch durch wahre Menschenenkenntnis aus.
75 Jahre Leben hinterlassen Lebenslinien und Schreiblinien und geben Anlass, diese wie auf einer Karte zu überblicken, auf der man seinen Lebensweg eingezeichnet hat, und ihn nun vor dem Publikum im Zeitraffer ablaufen lässt, beginnend mit der Studienzeit: der Anfang, erwachsen zu werden; frühe Versuche, Abgründe und Glück zusammenzubringen; Sehnsucht nach Liebe und Weltverbesserung; ästhetische, religiöse Experimente; satirische Brandstiftung bis hin zu Beruf, Universität und theologischem Ernst, wohlwissend, dass jedes Spiel und Ausprobieren auch eine Übung für den Ernstfall ist.
Dementsprechend folgten die Schreiblinien, beginnend mit „Kreuzgang“, „Sommerlicht“, „Hülle deine kalten Schultern“, „Schnittpunkte“, „Vogelmenschen-Hündchenmenschen“, „Ein Lied zu Blochs Prinzip Hoffnung“, „Was brennt denn da“, „Reiseskizzen zwischen Prosa und Lyrik“, „Texten zu Kunstwerken“, „Ecce homo“, „Hautnah Amerika“, „Haikus“ bis hin zum „Predigtslam“.
Auf Grund der Fülle möchte ich mein Untersuchungsglas auf das Heißeste fokussieren, nicht nur auf Grund pyromanischer Vorlieben, sondern eher wegen der Liebe zur Feuerbekämpfung, stellte doch in in einer früheren Lesung von Literatur um 11 über Stendhal der Romanist Professor Hofer fest, dass sich im Grunde die literarischen, theologischen und philosophischen Geister in Brandstifter und Brandlöscher unterscheiden ließen. Wer nun was ist, ist nicht immer eindeutig zu verifizieren, weil die Urteile vor dem Brand häufig von den Urteilen nach dem Brand abweichen, zumal wenn nach dem Brand die Brandstifter die neuen Herren sind.
Immerhin verdanken wir unser Dasein einem unkontrollierbaren Brandherd, wobei die Katastrophe nicht wäre, dass der Brand unlöschbar ist, sondern, dass er aufhören würde, zu brennen. Merkwürdigerweise entspricht dem physikalischen kosmischen Feuer ein mental geistiges Flammenmeer. Denn, dass das Gehirn schwer entflammbar sei, ist nur die halbe Wahrheit, die andere Hälfte ist, dass es geistig ein Pulverfass ist, das beharrlich auf die Entzündung seiner Zündschnur wartet. Verfechter der Unschuld dieses glibberigen Organs, in dem sogar die Vernunft hin und wieder ausrutscht, verweisen aber lieber als Zentrum dieses Infernos auf das brav vor sich hin pochende Herz.
So hat die Frage Gerhard Marcel Martins: „Was brennt denn da?“, nicht nur seinen Ursprung in jugendlicher Hitze. Zu schnell kann das friedlich-sonnenhaft-menschliche Gemüt in pyromanische Gründlichkeit verfallen. Sodass neben Sägemehl- Sonnen-, Müllplatz-, Haus- Bettbränden, antiken Bibliotheksbränden, Burg-, Palast-, Stadt-, Kirchen- und Weltbränden des Weiteren Vernichtungsbrände von Meinungen, Personen, Völkerschaften der Pyromanie geistigen Erneuerern oder Wiederherstellern reichlich Nahrung geben.
Ein brennendes Beispiel gab der Autor mit seinem Text „Ecce Homo“, einem Text, der zu komplex ist, um in Kürze zusammengefasst zu werden.
Martin, Gerhard Marcel
Apokalypse
Weltuntergang - innen und außen
Kartoniert, 48 Seiten
ISBN 978-3-943556-12-4
Preis: 7,95 €
Religionsgeschichtlich heißt „Apokalypse“ nicht Weltzerstörung, sondern Enthüllung, Aufdeckung, Offenbarung destruktiver, aber auch rettender Mächte. Doppeltes Thema ist Weltende genauso wie Weltverwandlung durch ungeheure Vernichtungsprozesse hindurch. Apokalypse geschieht außen und innen: in weltpolitischen Dimensionen und in Visionen von himmlischen und höllischen Welten. Schon Kant unterscheidet ein natürliches, ein katastrophisch widernatürliches und ein „übernatürliches“, „mystisches“ Ende aller Dinge. Sind apokalyptische Traditionen gegenwärtig aktuell – in Politik, Tiefenpsychologie und Theologie? Wo geschieht „Apokalypse“ heute?
Gerhard Marcel Martin, geb. 1942 in Düsseldorf / Studium Evangelische Theologie und Philosophie / 1970-1975 Assistent und Promotion zum Dr. theol. bei Prof. Moltmann/ Universität Tübingen / 1973/74 Studienjahr/Lehraufträge Union Theological Seminary New York / 1975-1982 Pfarrer und Studienleiter, zeitweise stellvertretender Direktor an der Evangelischen Akademie Arno.
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