Zwischen Jerusalem und Athen-24-08-19 - Verlag-Blaues-Schloss

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Veranstaltungen 2019


Theologie im Paradies
– Gespräche und Begegnungen zu Glaube & Religion –
  
Zwischen Jerusalem und Athen
Die vielen Götter und der eine Gott

    
 
Vortrag und Dialog mit
Dr. Rainer Kessler, Prof. emer. für Altes Testament
Dr. Arbogast Schmitt, Prof. emer. für Klassische Philologie
  
Samstag, 24. August 2019, 16.00 Uhr
Klostergarten Caldern („Paradies”)
[Klosterbergstraße 21, Lahntal-Caldern]





Begrüßung durch Pfarrer Ralf Ruckert (Kirchspiel Sterzhausen-Caldern)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe mich mit Eritreern unterhalten, die am Sonntag sich ganz  eigene Dinge zum Gottesdienst anziehen, die sie nur am Sonntag tragen.  Das kam mir bekannt vor, nur eben 50 Jahre zurück. Da ist also offenbar  ein und derselbe Gott, der diese Menschen zum Sich-Umziehen bewegt,  unsere Großmutter sowie die Eritreer. Gleichzeitig leben wir in einer  Gesellschaft, die ihr Heil in ganz verschiedenen Dingen sucht.        
Die vielen und der Eine. Schön, dass wir im  „Paradies“ zusammen sind, mit Arbogast Schmitt und Reinhard Kessler und  Herr Schwebel wird dabei moderieren. Zwischendurch gibt es Kaffee und  Kuchen. Für Caldern ist es eine Auszeichnung, dass wir uns über die  Grenzen hinaus hier im Paradies treffen können.         
Schön, dass Sie da sind und ich bin gespannt.



Arbogast Schmitt:
Ein kleiner Einblick in die griechische Religion

Es gibt nicht die griechische Religion. Man muss mindestens  vier Unterschiede beachten. Das eine ist die Volksregion. Davon  unterschieden, doch sehr mit ihr verwandt, ist die literarische  Konzeption, also das, was wir bei Homer und Hesiod über die griechischen Götter lesen. Der Geschichtsschreiber Herodot  beschreibt, dass vor Homer die Griechen die Götter gar nicht genau  unterschieden hätten und auch die meisten Unterscheidungen von den  Ägyptern übernommen haben. Sie haben einfach zu Gottheiten gebetet, ohne  genau zu wissen, an wen sie eigentlich beten sollen.    
    
Erst Homer habe die Götter unterschieden und  ihnen Namen, Ämter und Wirkungsweisen zugeschrieben. Also: Aphrodite  steht für die Liebe, Athene für die praktische Klugheit, Apoll für die  Gerechtigkeit usw. Das habe die gesamte griechische Religion  durchdrungen. So ist es ermöglicht, die Volksreligion und literarische  Religion gemeinsam zu behandeln.   
    
Dazu kommen die philosophische Reflexion auf das Göttliche,  genauer unterschiedliche Formen der philosophischen Religion. So ist,  dass Gott als Person gedacht werden kann oder als eine Person, durchaus  platonisch oder aristotelisch. Es gibt aber auch Formen wie sie zum  Beispiel von den Stoikern vertreten worden sind, die zwar an einen Gott glauben, aber schwer vorstellbar an einen persönlichen Gott.
       
Das neuzeitliche Abendland hat sich sehr gewundert, wie man an  solche anthropomorphen Götter Homers glauben kann. Zumal, wenn die  Götter Ehebruch treiben oder Leute ins Unglück bringen, den Menschen zu  etwas Bösem zu raten und sie verführen, und trotzdem noch als gerechte  Götter verstanden werden sollen  
Wie kamen also die Griechen dazu, an solche Götter zu glauben? Da  war die Vorstellung aus der Goethezeit, dass damals die Menschen noch  nicht wussten, wie sie aus sich selbst heraus selbstverantwortlich  handeln konnten. Dort, wo wir denken, dass wir es sind, die handeln, da  glaubten die Griechen, da handele ein Gott in ihnen.    
    
Zum Beispiel wenn im trojanischen Krieg Agamemnon den Achill,  dem die Griechen die bisherige Behauptung vor Troja verdanken, nach  Hause schicken will, weil er ihn nicht mehr brauchen würde, ist Achill  darüber so empört, dass er Agamemnon mit seinem Schwert niederstechen  will. Da tritt Athene hinzu und sagt „Greife nicht zum  Schwert“. Wozu braucht er denn dazu eine Göttin Athene? Hat sich Achill  nicht einfach nur selbst beherrscht? Eine alte Erklärung lautet: Auch  wir wissen, dass uns etwas packen kann, von dem wir dann sagen: das war  nicht ich. „Was der Mensch als Gott verehrt, ist sein eigen Innerste  herausgekehrt“, so sagt es Goethe. Aber es gibt markante Stellen, bei  denen man sieht, dass das so einfach nicht stimmt. Denn die Götter  gleichen sich den jeweiligen Menschen an. Sie reden mit jedem anders und  sind mal deutlicher mal weniger deutlich. So sind die ersten vier  Bücher der Odyssee vielmehr ein Erziehungs- oder ein Bildungsroman wie  Telemach dazu gebracht wird, zu sich selbst zu kommen.
 
Die antike und mittelalterliche Antwort darauf ist: dass Athene eben so erscheint, wie der jeweilige sie aufzufassen vermag.

"Alles wird von den Göttern bewegt, aber so wie ein jeder selber ist."
    
Man kann sich fragen warum man diese Götter überhaupt brauchte?  Zu einem wäre kein Grieche auf die Idee gekommen, das es so etwas wie  die Aphrodite nicht gibt. Denn die Macht der Liebe ist  nicht durch einen selbst in der Welt, sondern man kann sich ihr nur  gegenüber verhalten.
         
Zur Selbstständigkeit würde Homer sagen: dass sich nur der kennt,  der unterscheiden kann zwischen dem, was in seiner eigenen Hand liegt,  und dem, worüber er nicht von sich aus verfügen kann.
    
Platon spricht nicht nur von den Ideen und von  dem einen Guten, sondern Platon denkt den Gott personal, oder zumindest  als Begründung von Personalität. Denn der Gott oder seine Vernunft muss  etwas sein, an der wir alle teilhaben, oder die etwas noch jenseits der  Vernunft, also noch über der Vernunft ist.


Francesco Botticini  (1446–1498) Mariae Himmelfahrt 1475/6   Auszug Wiki

Für Platon gibt es keine direkte Verbindung mit Gott, sondern nur  Stufen der Vermittlung. Diesen Gedanken hat der spätantike Neuplatoniker  Proklos aufgegriffen und die Götter in drei hierarchisch geordnete Gruppen unterteilt. Sein Schüler Dionysios, den man im Mittelalter für einen Schüler des Apostels Paulus  hielt, hat diese Einteilung übernommen und als die ‚Himmelshierarchie‘  mit Namen aus dem Alten Testament belegt. Die oberste Gruppe sind die Seraphin, die Cherubin und die Throne, die zweite Gruppe sind die Herrschaften, die Mächte und die Gewalten und die dritte Gruppe sind die Fürsten, die Erzengel und die Engel.  Diese neun Engelschöre sind alos eine Übertragung der klassischen  homerischen Götterhierarchie durch den mittelalterlichen Philosophen Dionysius Areopagita.
  
"Alles wird so von den Göttern bewegt, aber so wie ein jeder selber ist."



Reinhard Kessler:
Die Entwicklung zum Monotheismus des Alten Testamentes

Die Unterscheidung zwischen Polytheismus und Monotheismus  spielt in der modernen Diskussion eine große Rolle. Sie ist aber auch  eine moderne Unterscheidung. Es ist unangemessen, sie auf die  Verhältnisse in der Antike oder auf das Alte Testament zu übertragen.
       
Vergleicht man aber das Alte Testament mit  Homer, dann fühlt man  sich in einer ganz anderen Welt. So treten im Alten Testament solche  Gottheiten nicht auf. Dadurch entsteht der Eindruck, dass das Alte  Testaments ein monotheistischer Glaube ist. Die Schöpfungsgeschichte  fängt bereits mit einem Gott an. Für die Propheten ist es klar, dass ihr  Gott nicht nur auf Israel wirkt, sondern auch auf andere Völker. Dieser  Monotheismus aber steht nicht am Anfang, sondern am Ende einer langen  Entwicklung.
    
Die erste schriftliche Erwähnung des Volkes Israel steht  auf der Merenptah Stele aus dem Jahr 1208 v. Chr.. Der Name Israels setzt sich aus zwei Elementen zusammen, dem Verb isra, was heißt: der streitet, und dem Gottesnamen El.  "El streitet." El ist in Kanaan ein sehr bekannter Gott. Er hatte dort  die Rolle wie Zeus im griechischen Pantheon und war der oberste Gott   neben  andere Gottheiten. Erst später  wurde der Gott Jahwe zum Gott  Israels beziehungsweise  haben sich hier zwei Götter irgendwann  miteinander verschmolzen.
    
Ein anderer Gott ist Baal, ein kämpferischer Gott, der auch für das Wetter zuständig ist. Einerseits gibt es eine heftige Polemik gegen den Gott Baal, andererseits werden viele Eigenschaften Baals auf auf Jahwe übertragen. Er selber ist auch Gott der Fruchtbarkeit. Die Bibeltexte bekämpfen zunächst die Verehrung anderer Gottheiten zusammen mit Jahwe. Jahwe war der Staatsgott Israels. Aber daneben wird Aschera in den Häusern durch weibliche Figurinen mit großen Brüsten als Symbol der Fruchtbarkeit verehrt.
    

Das ist die Ausgangslage, die wir in der israelitischen Königszeit  vorfinden. In der späteren Königszeit wird die Figur Jahwe  vereinheitlicht, denn es gab örtlich verschiedene Ausprägungen.  Vergleichbar wie die Maria von Lot oder die Maria von Fatima, sie  erscheint an verschiedenen Orten, ist aber die eine Maria. Das berühmte  Bekenntnis  „Schma Israel“ wird als ein mono-jahwistisches  Bekenntnis bezeichnet. Es gibt nur einen Jahwe. Die Folge war die  Konzentrierung der verschiedenen Orte auf einen Ort Jahwes. Damit ist  aber noch nicht gesagt, dass der Jahwe als einziger verehrt wird. Israel  hatte lange Zeit keine Probleme damit, dass es mehrere Gottheiten in  der Welt gibt. Jedes Volk handelt im Namen seines Gottes.
       
In der Entwicklung zum Monotheismus ist Jahwe nur einer und er  wird in Israel als einziger Gott verehrt. In der Prophetie hingegen  kommt die Vorstellung hinzu, dass  Jahwe auch auf andere Völker wirkt.  Jahwe ist es, der die einzelnen Völker an ihren Wohnsitz gebracht hat.   Mit dem Exil Israels, bedingt durch seine Niederlagen, kommt die Frage  der Theodizee auf. Wie kann unser Gott, auf den wir uns zu verlassen  haben, uns so im Stich lassen? Oder ist er einfach so ohnmächtig? Waren  die babylonischen Götter mächtiger  als er?
  
Die Antwort darauf war: dass man nicht die Bedeutung Jahwes  zurückgenommen hat, sondern sie unendlich gesteigert. Der Untergang  Israels war ja von dem Propheten angekündigt worden. Jahwe hat also sein  Volk gewarnt. Es hatte aber nicht gehört. Das ist der Wahrsagebeweis.  Jahwe lenkt die Geschichte oder das Geschick. An dem Glauben an den  einen Gott besteht kein theoretisches Interesse. Kein System wird  entworfen, dass es nur einen Gott geben könne. Vielmehr besteht ein  praktisches Interesse: das Volk zu trösten und aufzubauen.
      
Der Monotheismus entsteht in doppelt herrschaftskritischer  Absicht. Die eine ist gegen imperiale Großmächte gerichtet, und die  andere gegen politische und soziale Ungerechtigkeit auch im eigenen  Volk. Der Gott ist auf Seite der Schwachen nicht einfach auf Seite der  Mächtigen. Die Götter werden zwar argumentativ erledigt, aber es besteht  nicht die Absicht, festzustellen, ob Israel die wahre Religion hat,  sondern es geht darum, dass Jahwe Israel rettet.



Jan Assmann, ein Kritiker des Monotheismus, weil durch die mosaische Unterscheidung, das Wahre  oder Falsche in die Religion gekommen sei, verweist im weiteren Verlauf seiner Untersuchungen auf einen Monotheismus der Treue.  D. h. dass man diesem einen Gott treu bleibt. Es geht dabei  nicht zu  sehr um die theoretischen Frage, ob  andere Religionen falsch sind.
      
Die strikte Gegenüberstellung zwischen Monotheismus und  Polytheismus geht sowohl an den antiken  als auch an den biblischen  Schriften vorbei.

Horst Schwebel:
Das Gute ist, dass man so etwas auch mal lesen kann.

"Meine Damen und Herren, Sie haben gemerkt, das war doch eine sehr  anspruchsvolle Kost. Das Gute ist, dass man so etwas auch mal lesen  kann. Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass es in der „Theologie im  Paradies“ einige Bücher gibt. Als erste ist von mir und Rainer Kessler  un von mir „Das Paradies in Bibel und bildender Kunst“. Ein anderes von  Christoph Elsas „Jenseitsvorstellungen in den Religionen“. Und von  Arbogast Schmitt haben wir drei Texte „Homer und wir“, „Moral und Lust“  und „Freiheit und Lust.“ Und ich hoffe doch, dass die heutigen Beiträge  auch in absehbarer Zeit vorliegen werden, sodass man das auch noch lesen  kann.
      
Denn, auch wenn man gewohnt ist, viel über diese Thematik zu  hören oder zu lesen, selten habe ich den Eindruck gehabt, so viel Neues  gehört zu haben. Wir haben es ja mit Wissenschaftlern zu tun, die den  letzten  Forschungsstand bereits verarbeitet haben.“      








Übersicht 8 Jahre Theologe im Paradies»

      

      
    
    
Vorhergehende Veranstaltungen in "Theologie im Paradies"
oder mit Arbogast Schmitt
  
  
Marian Zachow
Jesus in der DDR - biblische Bilder in der Kunst der DDR
Theologie im Paradies Caldern bei Marburg
Samstag 30. Juni 2018

Prof. Dr. Arbogast Schmitt
zum 75. Geburtstag
Über Freiheit und Lust,
eine zu wenig beachtete
Erklärung der Willensfreiheit
Sonntag, 29. April 2018, 11 Uhr, Café Vetter in Marburg

Sa., 24. Juni 2017, Klostergarten Caldern
"... ich bin so frei"
Existenzielle und theologische Spurensuche
Vortrag und Dialog mit Prof. em. Dr. Gerhard Marcel Martin

So. 19. Februar 2017, 11 Uhr, Café Vetter Marburg
Professor Dr. Arbogast Schmitt
Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung?
Eine Kritik aus aristotelischer Sicht.

    

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